Im Laufe meines Leben habe ich viele Erwachsene mit LRS- leicht oder schwer- begleitet und möchte in diesem Blogartikel ein wenig die unterschiedlichen Typen unter die Lupe nehmen. Keiner dieser Typen kommt selten in Reinform vor und von Vollständigkeit der Beschreibung nehme ich auch Abstand, aber so oder ähnlich habe ich sie kennengelernt. Ich werde natürlich keine Namen nennen.
Typ 1:
Ein Erwachsener diesen Typs fiel schon in der Schule durch schlechte Noten in Deutsch auf. Seine Diktate werden durchweg mit 6en benotet. Aufsätze sind kaum aufgrund der schlechten Rechtschreibleistung kaum zu lesen. Auch bei geübten Diktaten hat dieser Typ, erhebliche Schwierigkeiten, vernünftige lesbare Texte abzuliefern.
Wie bei den Diktaten waren die Noten in sämtlichen Fächern eher schlecht z.B. überall dort, wo Textverständnis gefördert wird. Also in den Fächern Sachkunde, Politische Bildung, Umweltkunde, Geschichte usw. Wenn es gute Fächer gab, waren es die handwerklichen, künstlerischen oder musischen Fähigkeiten, die hervorstachen und genau in diesen Fächern gab es dann gute Noten. Genauso sind am Anfang die Noten in Mathematik auch gut- solange bis Textaufgaben drankommen. Oftmals haben diese Kinder auch in Sport eine sehr gute Note. Sport wird dann oft auch das Lieblingsfach in der Schule.
Falls das Schulkind mündlich begabt ist und sein Selbstbewusstsein nicht so weit unten ist, dann hat es in den höheren Klassen die Chance, die Schule soweit unter einen Hut zu bekommen, dass es zu einem Hauptschulabschluss bzw. Realschulabschluss und einer Ausbildung reicht. Hier für braucht es dann aber vernünftige Eltern, die das Kind auf eine für ihn geeignete Schulform anmelden und auch abgehen lassen. Aufgrund des Alters ist auch in der Ausbildung noch eine extreme Begleitung erforderlich.
In der Regel wird dieser Typ keine weitere Ausbildung anfangen oder in einem Studium scheitern, sondern versuchen, in der ersten Ausbidlung Fuß zu fassen z.B. ins Team zu kommen und sich sonstwie unentbehrlich zu machen..
Ist keine häusliche Unterstützung z.B. in Form von Nachhilfe oder Hinterherhaken nicht da und wurde das Selbstbewusstsein durch die schlechten Noten in den ersten Schuljahren so runtergezogen, dann gehen diese Typen ohne Schulabschluss ab, landen auf der Straße und/ oder fangen irgendwann an, Alkohol oder Drogen zu nehmen. Oftmals sterben sie einen frühzeitigen Tod ( durch den berühmten goldenen Schuss oder durch Selbstmord).
Einem ehemaligen Mitschüler in der Grundschule ist letzteres passiert. Er hat sich das Leben genommen! Bei ihm kam vieles zusammen. Im Rückblick meiner Erinnerungen hatte er eine deutliche hervorstechende starke LRS wie in dem Beispiel beschrieben.
Typ 2:
Der Typ 1 ist das Extrembeispiel bei diesem Thema. Der Typ 2 ist öfter vorhanden: Typ 2 stammt aus einem sogenannten guten Elternhaus, hat in der Schule auch schlechte Noten in Deutsch, seine Rechtschreibung ist ebenso mies. Wie eine Freundin von mir schrieb, sie schrieb wie "Kraut und Rüben". In Diktaten immer schlechte Noten, bei Übungsdiktaten gibt es hin und wieder mal die Chance auf eine 4, weil die Regelwörter saßen, wenn sie es denn taten.
Wenn dieser Typ heranwächst, wird häufig mit Ach und Krach das Abitur gemacht, allerdings begünstigt eine gute Schulform schon den Abiturschnitt. Häufig wird eine Schule ausgesucht, wo Abitur in 13 Jahren möglich ist und den eigenen Neigungen entspricht.
Zu keiner Zeit muss man bei diesem Typ über einen emotionalen Absturz nachdenken, denn er weiß einfach um seine Schwäche und sieht es nicht als Einschränkung für sein LEBEN. Oftmals wird genau für diese Schwäche Nachhilfe genommen, um durch die Schule zu kommen bzw. die Schule für diese Verhältnisse gut zu beenden. Er weiß, er kann sich die Unterstüzung holen, die braucht. Die Erfolge können bei guter vorhandener Motivation immens sein.
Das Schulende wird trotzdem oftmals als Erleichterung wahrgenommen. Dies geschieht aus mehreren Gründen: Zum Einen muss man nicht mehr schreiben und das Geschriebene wird benotet. Frei nach dem Motto: Ich bin so frei von meinem Problem. Zum anderen kann man sich nach einer Ausbildung, in der man sich auch Unterstützung gesucht hat, um sie für seine Verhältnisse gut zu bestehen, endlich bewerben. Oftmals werden Bewerbungen von jemand anders geschrieben bzw. korrigiert, wenn sie Erfolg haben.
Oftmals findet bei diesem Typ auch eine Verheimlichung der Schwäche statt. Nur der Lehrer, die Eltern und er wissen davon. Noten werden aus Furcht vor Ablehnung ganz oft nicht mit Mitschülern geteilt.
Dies setzt sich im Berufsleben nach bestandener Ausbildung fort. Auch diese Typen werden ein Studium selten oder nur mit weiterer Unterstützung bestehen. Meistens entscheiden sich für eine praxisorientierte Ausbildung oder ein Studium an einer Fachhochschule.
Die Schwäche wird weiter verheimlicht, oft wird ein Partner gefunden, der gewissermaßen als Ausgleich fungiert. Dann werden die Emails, Berichte usw., die nötig sind, vom Partner geschrieben.
In meinem Leben ist mir häufig dieser Typ begegnet.
TYP 3:
Dieser Typ geht mit seiner LRS ganz offen um. Mann/ Frau hat halt diese Schwäche, sie wird nicht "totgeschwiegen". Wenn das Gesprächsthema darauf kommt, dann wird häufig schnell von einem selbst gesagt, dass man selber diese Schwäche hat. Oftmals wurde in der Kindheit schon auf gewisse Indizien geachtet und gezielt gefördert, damit die Schwäche irgendwann nicht riesengroß wird.
Im Erwachsenenalter suchen sich diese Typen ihre Partner nicht als Ausgleich für diese Schwäche bzw. schreiben sie all ihre Texte selber, leben mit kleineren Fehlern. Fehler zu machen ist kein Weltuntergang. Ihre Partner suchen sie sich der Liebe nach aus und benutzen ihn nicht dafür, ihre Texte schreiben zu lassen.
Beim Antritt einer neuen Tätigkeit (ob bezahlt oder ehrenamtlich), die Emailverkehr und Berichte erfordert, wird direkt gesagt, dass es sein, dass die Texte fehlerhaft sein werden, weil man diese Schwäche hat und man niemanden beauftragen will, vorher sämtliche Texte gegenzulesen.
Dadurch, dass gezielt gefördert und auch Nachhilfe genommen wurde, sind diese Erwachsenen tatsächlich in der Lage ein Hochschulstudium zu absolvieren und aus eigener Kraft zu schaffen. Bei Seminararbeiten bzw. Abschlussarbeiten suchen sie sich wie alle Absolventen Menschen, die 1x gegenlesen.
Diesen Typen ist auch bewusst, dass sie ihr eigenes Päckchen tragen müssen, sehen aber die LRS nicht als Päckchen an.
Fazit:
Es gibt nicht die Menschen mit LRS, der Umgang mit derselben ist wichtig. Natürlich gibt es auch Mischformen. Ich habe jetzt diese drei Typen mal als Prototyp genommen. Ich kenne die Menschen dahinter, die für diese Typen quasi Modell standen persönlich bzw. kannte sie.
Die Frage ist für mich: Steht die LRS bzw. der Umgang einem lebenswerten Leben entgegen? Jeder hat im Laufe seines Lebens Strategien entwickelt, mit dieser Schwäche umgehen. Wie sinnvoll sind diese Strategien in Bezug auf ein gutes Leben?
Für mich z.B. wäre es die Höchststrafe, eine Sache aus meinem Leben nicht teilen zu dürfen und da keine innere Offenheit zu haben. Für die anderen ist auch nicht so toll, es über dritte, vierte, fünfte zu erfahren, dass der oder der LRS hat und im gleichen Atemzug zu hören: " ...aber rede da bloß nicht drüber. Das ist meinem Partner ziemlich peinlich."
Jeder Erwachsene kann natürlich selbst entscheiden, wie er damit umgehen möchte. Ich persönlich finde es sehr traurig, dass Kinder nicht so gefördert werden, wie es möglich wäre, wenn ein Verdacht auf LRS besteht. Hier sollten mehr flächendeckende Tests und bei Verdacht Maßnahme ergriffen werden können.
Vor allem sollten Eltern und pädagogische Fachkräfte in dieser Richtung vermehrt geschult werden, damit frühzeitig LRS erkannt werden kann. Deshalb habe ich den Vorschulonlineelternkurs entwickelt ( im Shop auf dieser Website erhältlich) und gebe die Fortbildung "Lernstörungen frühzeitig erkennen" für pädagogische Fachkräfte für die Kindergartenakademie.
Für Eltern:
https://www.lernte.de/product/7361903/vorschulelternkurs
Für Fachkräfte:
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